Pranayama & Surfen

600.000.000 Mal im Leben

Wir tun es ständig, ca. 600.000.000 Mal während unseres Lebens. Es funktioniert einfach und automatisch. Trägt uns durch unser Leben: die Atmung. Obwohl unsere Atmung überlebensnotwendig für uns ist, kommt es doch nur selten vor, dass wir ihr unsere volle Aufmerksamkeit schenken.

Täglich führen wir ca. 20.000 Atemzüge durch, die wir jedoch bewusst kaum wahrnehmen und bei denen wir nie die volle Kapazität unserer Lungen nutzen. Eine tiefe und bewusste Atmung wirkt sich jedoch positiv auf unseren Geist, unser Wohlbefinden und unser Nervensystem aus. Durch eine tiefe und bewusste Atmung werden wir gelassener und ausgeglichener. Unser Körper wird mit zusätzlichem Sauerstoff versorgt und kann dadurch schneller entgiften. Zudem beeinflusst unsere Atmung auch die Frequenz unseres Herzschlages. Atmen wir schnell und flach, verbrauchen wir deutlich mehr Energie. Eine tiefe und langsame Atmung hingegen führt zu einer geminderten Herzschlagfrequenz und zu einer deutlichen Verbesserung unseres Energiehaushaltes und damit auch zu mehr Ausdauer beim Paddeln, Surfen und Luftanhalten.

Bewusster Atmen für mehr Gelassenheit

Wer surfen will, wird unvermeidlich damit konfrontiert, einige Zeit unter Wasser zu verbringen. Sei es im Falle eines Wipe-Outs oder aber auch beim Duck Diving. Dennoch ist es eher unwahrscheinlich, dass wir länger als 10 Sekunden unter Wasser gehalten werden. Trotzdem erfolgt das unter Wasser gedrückt werden häufig plötzlich, unerwartet und beinhaltet eine Reihe an Dingen, die nur schwer einschätzbar sind (Dauer, Tiefe, die Möglichkeit eines Zusammenstoßes mit dem Meeresgrund), so dass dieses Erlebnis von einigen Leuten als sehr unangenehm wahrgenommen werden kann. Wenn wir nun jedoch lernen, unseren Atmen bewusst zu halten, auch wenn unsere Lungen leer sind, so kann das ein sehr nützlicher Skill werden.

Wie auch in vielen anderen Sportarten, ist es oft die Angst vor negativen Konsequenzen, die uns davon abhält, unser vollständiges Potenzial zu nutzen. Lernen wir jedoch, ein gewisses Maß an Kontrolle über die Dinge zu erlangen, die uns ängstigen, wird uns dies dabei helfen, in einem Wipe-Out gelassen zu bleiben, nicht in Panik zu verfallen und keine zusätzliche Kraft zu verschwenden. Wir werden in der Lage sein, mehr Selbstvertrauen aufzubauen und  Wellen zu surfen, die uns zuvor zu groß und zu beängstigend erschienen sind. Es ist interessant zu wissen, dass unser Verlangen, Luft einzuatmen, nicht durch zu wenig Sauerstoff in unserer Lunge, sondern durch einen Überschuss an Kohlendioxid ausgelöst wird. Das bedeutet, dass wir trotz des Verlangens, tief einzuatmen, eigentlich immer noch ausreichend mit Sauerstoff versorgt sind. Machen wir uns dies bewusst und erinnern uns daran, dass wir nicht sterben werden, wenn wir für eine Minute die Luft anhalten, ist das bereits der halbe Preis für einen entspannten Surf.

Erlebe die Ausdehnung der Lebensenergie

Wer in diesen Genuss kommen will, sollte also beginnen, Atemtechniken, wie zum Beispiel Pranayama anzuwenden. Das Wort Pranayama leitet sich aus den Sanskrit-Wörtern “prana” und “ayama” ab, welche soviel bedeuten, wie „Lebensenergie“ und „Ausdehnung“ . So kann man Pranayama als „Ausdehnung der Lebensenergie“ übersetzen. In dem Moment, in dem wir uns dazu entscheiden, unserer Atmung mehr Aufmerksamkeit zu widmen und diese, zumindest für einige Minuten täglich, kontrolliert auszuführen, tun wir unserem Körper und Geist bereits Gutes.

Durch bewusste Atmung, können wir unseren Geist beruhigen, konzentrierter arbeiten, Ängste reduzieren sowie unsere Auffassungsgabe und unsere Kreativität erhöhen. Unsere Atmung bietet uns den einfachsten Zugang zu unserem Unterbewusstsein und damit dazu, bestimmte Verhaltensweisen zu ändern sowie gelassener und fokussierter zu handeln – und zu surfen.

Sitzen wir mit unserem Surfboard im Line-Up und warten auf das nächste große Set, so sind wir dort auf uns alleine gestellt.  Alles was bleibt ist unser Körper, unsere Atmung und unser Geist, die uns dabei helfen werden, die perfekte Welle zu surfen. Unseren Körper können wir uns als das Element vorstellen, welches unsere Vergangenheit spiegelt. Aufgrund unseres Muskel-Gedächtnisses weiß unser Körper, welche Bewegungsabläufe notwendig sind, um eine Welle zu surfen. Unser Geist ist das, was uns an unsere Zukunft denken lässt und vielleicht dafür sorgt, dass wir nicht bewusst im aktuellen Moment verweilen, dass wir nervös und unkonzentriert werden und am Ende die Welle nicht bekommen. Unsere Atmung ist schließlich der Teil, der uns mit der Gegenwart verbindet. Sie hilft uns dabei, uns zu fokussieren, im Hier und Jetzt zu bleiben, Gedanken an die Zukunft ziehen zu lassen, eins mit der Welle zu werden. Alles ist also eng miteinander verknüpft. Wobei wir am leichtesten eine bewusste und kontrollierte Verbindung zu unserer Atmung herstellen können.

Pranayama gilt traditionell als ein Element des Yoga, kann aber auch alleine, das heißt ohne die Durchführung von Asanas angewandt werden. Generell ist es jedem selbst überlassen, wie viele Minuten täglich bewusst geatmet werden soll. Dies kann zwischen drei oder 30 Minuten dauern. Man kann es zu Hause, auf dem Weg zur Arbeit oder während man im Line-Up sitzt und auf die nächste Welle wartet durchführen. Beim Surfen hilft uns Pranayama dabei, Kontrolle über unsere Gedanken und eventuellen Ängste zu erlangen. Wenn wir in einen Wipe-Out geraten oder lange unter Wasser gehalten werden, kann Pranayama uns dabei helfen, ruhig zu bleiben und nicht in Panik zu verfallen. Versuche doch einmal, dich und deine Atmung in stressvollen, ängstlichen oder aufregenden Situationen zu beobachten. Dabei wirst du bemerken, dass deine Atmung kürzer, flacher und schneller wird. Die Art wie wir atmen spiegelt unsere Art zu denken wieder. Umgekehrt beeinflussen unsere Gedanken auch unsere Atmung. Pranayama hilft uns also dabei, dies besser steuern und kontrollieren zu können.

Im Folgenden findest du einige Atemtechniken, die du selbstständig und einfach durchführen kannst. Für jede Technik gilt hier, langsam zu zählen, tief einzuatmen und die Übungen wenn möglich sitzend im Schneidersitz oder auf den Knien sitzend durchzuführen.

Savitri Pranayama – Ausgleich für unser Nervensystem

Bei der Technik des Savitri Pranayama wird die Atmung in vier Phasen aufgeteilt:

  • Einatmung (Puraka)
  • Halten des Atems (Kumbhaka)
  • Ausatmung (Rechaka)
  • Aussetzen der Atmung (Shunyaka)

Dabei wird den vier Phasen ein bestimmtes Verhältnis zugeordnet (2:1), wobei die Phasen der Einatmung und der Ausatmung (Puraka und Rechaka) doppelt so lange gehalten werden, wie die Phasen des Haltens und Aussetzens der Atmung.

Die Abfolge ist wie folgt:

  • Einatmung: Zähle auf 8 und atme dabei gleichmäßig und vollständig ein
  • Haltung des Atems: Zähle auf 4 und halte dabei die Luft an
  • Ausatmung: Zähle auf 8 und atme dabei gleichmäßig und vollständig aus
  • Aussetzen der Atmung: Zähle auf 4 und atme dabei weder ein noch aus

Für den Anfang kannst du auch ein kürzeres Verhältnis wählen, wie zum Beispiel: 6:3:6:3 oder 4:2:4:2. Willst du die Technik irgendwann erweitern ist dies auch problemlos möglich. Hier kannst du zum Beispiel auf 10:5:10:5 erhöhen usw. Dabei solltest du lediglich darauf achten, das Verhältnis während einer Trainingseinheit im Verlauf ausschließlich zu erhöhen und nicht zu verringern. Dies würde zu einer erhöhten Herzfrequenz und damit zu einem weniger ausgeglichenen Erleben führen.

Die Wim Hof Technik

Wim Hof ist ein niederländischer Extremsportler, der auch als „IceMan“ Bekanntheit erlangte. So erklomm er innerhalb von zwei Tagen, nur in Shorts und Schuhen bekleidet den Kilimandscharo. Dies schaffte er vor allem durch die von ihm entwickelte Atemtechnik „WHM“ (Wim Hof Method), die mittlerweile auch von anderen Sportlern wie zum Beispiel John John Florence genutzt wird. Hierbei fokussiert man sich hauptsächlich auf eine tiefe und gleichmäßige Ein- und Ausatmung, welche Wim Hof auch als Hyperventilation oder „Power Breathing“ bezeichnet. Entsprechenden Ein- und Ausatmungen folgen Phasen des Haltens des Atems. Dadurch geraten unser Körper und unser Geist in einen kurzen Stresszustand, der bei vermehrtem Üben zu einer erhöhten Resilienz gegenüber diesem Stress führt.

Und so funktioniert es:

  • Suche Dir einen ruhigen Ort und lege dich mit dem Rücken auf eine Matte auf den Boden
  • Atme 30 bis 40 Mal hintereinander tief ein
  • Atme vollständig aus und atme danach für einige Sekunden weder ein noch aus
  • Atme tief ein und halte deinen Atem für 10 Sekunden
  • Wiederhole diese Schritte für drei bis vier Runden

Diese Atemübungen haben mir als Vorbereitung aufs Surfen sehr geholfen. Beginne auch du am besten bereits ein paar Wochen vor deinem Surfurlaub im Surf- und Reiseland Sri Lanka damit – oder an welchem Ort auch immer du als nächstes gerne Surfen gehen möchtest. Vielleicht hilft es dir auf die gleiche Weise, so wie es mir geholfen hat. Probier es einfach mal aus!

Geschrieben von Ronja